Loslassen trotz steter Verbundenheit

Immer wieder haben wir auch mal das Bedürfnis, uns loszusagen. Wir wollen Bindungen und Fesseln abstreifen, die wir uns durch andere auferlegen lassen haben oder uns von Dingen trennen, die uns nicht mehr wohl tun, sondern uns inzwischen einschränken. Die Gründe für ein solches Bedürfnis werden in uns nicht nur durch andere Menschen und materielle Gegenstände losgetreten, sondern können auch darin begründet sein, dass wir unsere Perspektive auf das Leben und unsere Umgebung verändert haben. In Prozessen der Veränderung wird ein solcher Wunsch in der Regel viel schneller gegenwärtig, als sonst. Wir spüren dann, dass es uns etwas nicht gut tut, und wenn wir besonders aufmerksam sind, können gleichzeitig auch erkennen, dass dabei die Schuldfrage nicht relevant ist. Es ist einzig und allein die Entscheidung relevant, welche wir daraus treffen.

In dieser Entscheidungsfindung gelingt es uns gerade in diesen Prozessen des Lösens oftmals nicht, das „Lösen“ als solches vollends zu begreifen und zu betrachten. In dem Wunsch nach Loslassen empfinden wir uns selber als eine vom Außen abgetrennte Einheit. Die Vorstellung und das Konzept, ein individuelles Wesen sein zu können, liegen dahinter und versperren uns die Wahrnehmung des Eingebundenseins in das große Ganze.

Individualität ist ein auf der Egoperspektive beruhendes Prinzip. Das Ego ist dafür zuständig, uns als körperlich begrenztes Wesen zu schützen. Vor äußeren Einflüssen und Gefahren warnt uns das Ego und aktiviert dabei Instinkte und Mechanismen, die dazu angelegt sind, uns als Lebewesen zu erhalten. Menschen, die sehr in ihrem Ego verhaftet sind, werden sich bei einem solchen Trennungsdrang höchstwahrscheinlich noch weiter im Ego verstricken und durch das Lossagen wahrscheinlich keine Glückseligkeit erlangen. Sie streben im Lossageprozess nach besonderer Individualität und tappen in die Fallen von Mode, Trends und Angesagtheit. Wenn ich einer Mde hinterherlaufe, schalte ich mich nur erneut mit der Masse gleich. Worin liegt da also die Indivdualität?

Haben wir unser Ego zu klein gehalten und unsere Bedürfnisse viel zu sehr hinter den Bedürfnissen von anderen Menschen in unserem Umfeld gestellt, kann es heilsam sein, einen Lösungsschritt zu vollziehen. Jedoch birgt er die gleiche kleine Falle, in welche wir auch tappen, wenn wir egogesteuert zu einem Lösungsprozess tendieren. Diese Falle können wir uns aber ins Bewusstsein rufen und somit vermeiden, ihr allzu oft auf den Leim zu gehen.

Wenn wir das Bedürfnis haben, uns von einem anderen Menschen zu „trennen“, dann sollten wir nicht vergessen, dass das Lösen als Prozess gar nicht möglich wäre, ohne dass es den anderen gäbe. Allein schon in der Tatsache, dass ich den anderen zunächst einmal benötige, birgt das Paradoxon, welches auch in sich vereint, dass ich mich schlussendlich gar nicht wieder gänzlich werde lösen können. Basierend auf dem Prinzip das alles mit allem und jedem verbunden ist, ist eine Loslösung per se schon ausgeschlossen. Wenn wir Bedürfnisse dieser Art haben, dürfen wir uns erinnern, dass diese auf unserer Verbundenheit basieren, die wir zu dem Menschen, dem Gegenstand oder dem Verhalten haben und werden diese mit Sicherheit auch behalten.

Was aber bedeutet dann ein Loslassen? Wie sieht ein Lösungsprozess überhaupt aus? Genau betrachtet handelt es sich einzig und allein um eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen den miteinander verbundenen „Einheiten“. Wenn ich mich von einem Menschen “löse“, verändere ich nur mein Verhältnis zu ihm. Ab diesem Moment nehme ich sein Verhalten anders wahr, kann mich von mich einschränkenden, mich zurückhaltenden und mich reduzierenden Effekten befreien. Ich kann mein eigenes, durch diesen anderen Menschen ausgelöstes Verhalten ändern und stelle mich in ein neues, weniger „belastetes“ Verhältnis zu ihm. Das ist wichtig, denn wenn ich die Verbundenheit verleugne, vergesse ich im gleichen Zuge auch das, was ich daraus über mich selbst lernen kann und ebenso das Verständnis dafür, dass alles was ich bin aus dem geboren wird, was mich umgibt. Ein Lösungsprozess ist also keine Trennung von etwas, sondern einfach nur die veränderte Haltung und Perspektive zu etwas anderem.

In Bezug auf unsere Gefühle lassen sich ganz ähnliche Überlegungen anwenden. Wenn wir in Trauer sind, Verlust erfahren oder Ängste spüren, können wir uns auf verschiedene Arten davon trennen. Wir können ins Leugnen dieser Gefühle gehen, doch dann schieben wir sie ins Außen. Wir versuchen uns wortwörtlich davon abzutrennen und werden schon in dem Versuch scheitern. Gehe ich mit meinem Gefühl jedoch in Resonanz und begreife, dass es ein in dieser Situation wichtiger Teil meines Selbst ist, dass es etwas ist, mit dem ich in stetiger Verbindung stehe, kann ich meine Perspektive verändern und es in heilsamer Art „loslassen“, weil ich es in einvernehmlicher und zuträglicher Weise in mein inneres Selbst aufnehmen und damit verschmelzen lassen kann.

Wir können verstehen lernen, dass Trennung und Lösung nur Hilfskonstrukte unserer Wahrnehmung sind, mit deren Unterstützung wir uns neu ausrichten, jedoch werden wir uns nie wirklich von etwas trennen, dass einmal mit uns verbunden war.

Kritik annehmen

Eines der unangenehmsten Dinge für viele Menschen ist es, Kritik anzunehmen. Das bezieht sich in erster Linie auf „negative“ Kritik, aber auch „positive“ Kritik können manchmal schwer anzunehmen sein. Heute möchte ich aber zunächst über erstere schreiben:

Es kann der Vorgesetzte sein, aber auch Freunde, Familienmitglieder oder völlig Fremde. Meistens ist es umso schwerer, die Kritik zu ertragen, je näher uns der Mensch steht. Manchmal ist es aber auch gerade der „Fachmann“, welcher unser Handeln kritisiert und wir fühlen uns von einem Moment zum nächsten völlig aus der Bahn geworfen. Neben der Tatsache, dass jedwedes Gefühl aus Kritik oder unangenehmen Kommentaren völlig richtig ist, verlieren wir manchmal aus dem Augen, dass ein solches Erfahren einen Sinn haben kann.
Statt dessesn verdammen wir den Kritiker für seine Äußerungen oder erkennen ihm die Berechtigung ab, überhaupt in der Lage zu sein, den Sachverhalt zu bewerten. Dennoch wird damit dieses unangenehme, stechende oder dumpfe Gefühl nicht vergehen – im Gegenteil – es wird stärker. Wir können die Kritik nicht annehmen, weil wir glauben, damit einen Teil von uns zu verraten. Wir hatten doch alles durchdacht! Wie kann diese Person wagen, an uns zu zweifeln. Eckhart Tolle* spricht in solchen Zusammenhängen auch vom „Schmerzkörper“, welchen wir alle in uns tragen. Dieser wird exakt durch eine solche Haltung genährt.
Wie aber kann ein solches Erlebnis in etwas Positives gewandelt werden? Etwas dass uns hilft?
Es ist nicht immer leicht, da besteht kein Zweifel. Wenn wir es aber schaffen, die Kritik als eine Chance zu sehen, uns noch genauer zu hinterfragen oder einen anderen Blickwinkel auf den Sachverhalt zu bekommen, ist das unheimlich viel Wert. Hieraus können wir unseren Fokus legen, nicht auf den Schmerz, sondern auf die Ernenntnis. Unsere Aufmerksamkeit bekommt dadurch einen erweiterte Wahrnehmung der Realität. Es ist ein wenig so, als würden unsere Sinne erweitert. Wir haben die einmalige Chance, Dinge zu erkennen, die uns vorher verborgen waren. Dinge, die wir vielleicht nicht sehen wollten, weil wir uns zu sicher waren oder weil wir nicht genau überlegt hatten. Vielleicht wird uns dadurch auch einfach klar, dass wir alles bestens bedacht haben.

Entscheident ist, dass letztlich alle Erlebnisse des Lebens uns die Chance geben, etwas zu entdecken, etwas zu lernen oder etwas weitergeben zu können.

*Eckhart Tolle: „Jetzt! Die Kraft der Gegewart“ erschienen im J. Kamphausen Verlag